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Unruhiges Requiem Lyrics & Chords By Walter Mossmann

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Ein Sonntag im tiefsten Frieden
Die Bäume sind grün
Die Erdbeern blüh'n
Die Nachbarin
Trägt schwer an ihrem Gebetbuch –
Es riecht nach Schweinebraten!

Ein Sonntag im tiefsten Frieden
Alles blitz und blank
Dem Herrgott sei Dank
Für Speis und Trank
Außerdem haben wir Fernseh'n –
Es riecht nach Schweinebraten!

Spoken:
Die Idylle ist sehr fett geraten. Ich will sie nicht madig machen.
Ich rede nicht vom Weltuntergang. Ich rede nicht vom Atompilz.
Ich rede vom Sonntag, dem ersten Mai 1983!

Gegen Mittag ruft mich die Christiane an.
Sie sagt: "Ich weiß nicht, ob du es schon weißt, aber sie haben den Tonio erschossen.
Es war im Norden von Nicaragua. Sie haben vierzehn Menschen gezwungen auszusteigen.
Dann haben sie alle vierzehn abgeknallt. Einer von den vierzehn war der Tonio!"
Was die Christiane am Telefon erzählt, ist eine Nachricht. Material für die Zeitung.
Was die Christiane erzählt, ist Kino. So eine Art Italowestern.
Da liegen vierzehn Leichen auf der Straße rum, aber ich will sie nicht anschau'n.
Meine Kamera schwenkt hinüber zu den bewaffneten Männern in den Tarnanzügen.
Ich wiederhole mir im Kopf, was ich von denen weiß:
Die Mörder kommen aus US-amerikanischen «Training Camps».
Aber das Wort meint keine Zeltlager, in denen Leichtathleten trainieren.
Das Wort meint Kasernen, in denen Menschen zu Killern abgerichtet werden.
Die Lehrmeister werden geschickt aus Washington. Die Mordwerkzeuge werden bezahlt aus Washington.
In Washington nennt man die Killer «Freiheitskämpfer».

Ich habe mich daran gewöhnt, das alles zu wissen.
Aber jetzt sagt die Christiane, sie hätten den Tonio angeknallt.
Da ist ein Italowestern, der spielt in Nicaragua. Und da bin ich.
An einem anderen Ende der Welt!

Ein Sonntag im tiefsten Frieden
Die Kirche ist aus
Das Gotteshaus
Sieht kostbar aus
Die Kostbarkeit hat was gekostet –
Es riecht nach Schweinebraten!

Ein Sonntag im tiefsten Frieden
Die Menschlichkeit
Trägt ihr Sonntagskleid
Es tut uns leid
Dass anderswo Menschen verhungern –
Es riecht nach Schweinebraten!

Spoken:
Der Nachrichtensprecher im Radio sagt es jetzt auch: "Der deutsche Arzt Albrecht Pflaum in Nicaragua ermordet!".
Ich kannte diesen Namen nicht. Ich kannte bloß den Namen Tonio.
Ich krame in meinem Gedächtnis nach Erinnerungsfotos.
Ich seh' ihn mit der Christiane in der Wohngemeinschaftsküche Terlanerstraße.
Ich seh' ihn mit den Latinos auf einer Chile-Demonstration zwischen Martinstor und Amerikahaus.
Und ich seh' ihn mit dem Reinauer Sepp auf dem besetzten Platz im Wyhler Wald.

Und ich sehe die Gesichter der anderen, die jetzt in Nicaragua sind: Pedro und Marilyn aus Argentinien, die Schimmel aus dem Töpferladen hinterm «Jos Fritz», den Nico aus Managua.
Am liebsten würde ich jetzt die Zeit zehn Jahre zurückdrehen und Samba tanzen gegen die viereckige Musik aus dem Radio. Und Olivenöl und Knoblauch und Chili und Lourdinha mit Zimt und Nelken und diese lateinamerikanischen Lieder, an denen wir uns damals alle besoffen haben.
Mir fällt auf, dass diese Lieder heute auch schon graue Haare haben.

Yo pregunto a los presentes
Si no se han puesto a pensar
Que esta tierra es de nosotros
Y no del que tenga más
A desalambrar, a desalambrar!
Que la tierra es nuestra, es tuya y de aquél
De Pedro y María, de Juan y José
De Pedro y María, de Juan y José!

Spoken:
Alle meine Erinnerungsfotos gehen nicht zusammen mit dem Film, den mir die Christiane am Telefon erzählt hat:
"Es war im Norden von Nicaragua. Sie haben einen Bus angehalten. Sie haben vierzehn Menschen gezwungen, auszusteigen. Dann haben sie alle vierzehn abgeknallt. Einer von den vierzehn war der Tonio!"

Mein Blick weigert sich, die Leichen anzuschau'n. Mein Blick weicht aus zu den Mördern.
Wenn ich ihre Spur zurückverfolge, komme ich im Fernseh'n an.
Dort seh ich den Hauptdarsteller des Freien Westens, den Kmödianten mit der Dallas-Fresse.
Daneben steht einer, der Hauptdarsteller in Bonn, der macht einen Bückling und sagt:
"Wir stehen, wo wir stehen müssen. Auf der Seite der Freiheit. Auf der Seite unserer Freunde!"
Er sagt nicht: "Wir stehen auf der Seite der Killer!", das sagt er nicht.
Ich weiß, dass es so ist. Aber die Bilder passen nicht zusammen.
Dieser schmierig grinsende deutsche Biedermann hat keine Blutflecken an der Manschette!

Ein Sonntag im tiefsten Frieden
Das Blech rollt zurück
Aus dem Weekend-Glück
Das Blut wird dick
Das Blut wird dick, das im Stau steht –
Es riecht nach Schweinebraten!

Ein Sonntag im tiefsten Frieden
Ein Blechschaden kracht
Ein Lachsack lacht
Das Fernsehn macht
Gelungene Unterhaltung –
Es riecht nach Schweinebraten!

Spoken:
Eine Stunde vor Mitternacht ist das Amerikahaus demoliert.
Hastig hingesprühte Parolen auf zertrümmerte Glasscheiben.
Und die paar Steine, die geflogen sind, machen keinen großen Lärm.
In Washington ist jetzt Nachmittag, dort hört das sowieso kein Mensch.
An der Mauer des Gerichtsgebäudes steht der Namen «Tonio».
Morgen wird er vielleicht schon übertüncht. Übermorgen schreibt jemand was anderes drüber.

Laut Poizeibericht um «Dreiundzwanzig-Null-Sechs Uhr» sind mein Freund und ich umringt von aufgeregten jungen Männern in grünen Uniformen. Sie sehen aus wie Pfadfinder beim Stadtgeländespiel. Das macht ihr kindisches Jagdfieber.
Ich kann ihre Finger an meinem Ärmel nicht leiden. Ich sei festgenommen wegen «Sachbeschädigung».
Ich sage: "Das ist nicht wahr. Ich habe keine Sache beschädigt!"
Dann eben wegen «Billigung einer Sachbeschädigung in Tateinheit», sagt ein anderer.
Mein Gott, was haben die für Wörter gelernt!
Ich schau den Pfadfindern in die Gesichter. Ich suche Züge von Neugier.
Ich frage mich, ob diese Jungs auch längere Spuren lesen können.
Zum Beispiel die Spur, die von dem Mord in Nicaragua nach Washington und von dort nach Bonn führt.
Sowas hieße dann doch in ihrem Jargon «Billigung eines Mordes in Tateinheit».

Nein, diese da suchen keine Spuren. Sie führen Befehle aus. Sie haben Angst im Freien.
Auf der Straße fühlen sie sich ständig bedroht, das ist gefährlich für uns, denn sie tragen Schusswaffen.
Die Hintertüren des Streifenwagen haben Kindersicherungen. Man kann sie von innen nicht öffnen.
Ich dreh den Kopf und schau zum Heckfenster hinaus. Das Nachtleben der Stadt interessiert sich nicht für uns.
Warum auch?

Ein Sonntag im tiefsten Frieden
Ein Dealer dealt
Ein Schläger brüllt
Ein Säufer fühlt
Er kommt nicht mehr auf die Beine –
Es riecht nach Schweinebraten!

Ein Sonntag im tiefsten Frieden
Eine Knarre zielt
Ein Killer killt
Das Kino spielt
«Spiel mir das Lied vom Tod» –
Es riecht nach Schweinebraten!

Spoken:
Auf dem Polizeirevier nehmen sie mir meine bewegliche Habe ab, auch den Gürtel, auch das Halstuch.
Vor der Zelle dann der Befehl: "Jetzt ziehen Sie auch die Schuhe aus!".
Ich sehe, ich bin in ihrer Gewalt. Die Klotür ist ausgehängt.
Zwei bewaffnete Männer schauen mir beim Pissen zu. Das ist ihre Arbeit.

Die Einzelzelle ist ein kahler Kellerraum, drei Meter hoch, vierfünfzig lang, einsachzig schmal.
Kein Fenster. Außer der Liege ist nichts drin, gar nichts.
Die Stahltür hat keine Klinke und kein Schlüsselloch.
Sie ist eigentlich gar keine Tür, bloß eine glatte graue Fläche.
Man schließe mich ein, um mich vor mir selbst in dieser Nacht zu schützen, sagt der Schließer und grinst.
Bei den Nazis hieß das Schutzhaft. Heute heißt das Vorbeugehaft.
Und zwar wegen «Verdacht auf Billigung einer Sachbeschädigung in Tateinheit», weil nämlich jemand den Namen TONIO an eine Mauer gesprüht hat. Eigentlich alles unsäglich lachhaft.

Ich mache, was ich in dieser Lage machen kann, ich geh fünf Schritte hin, fünf Schritte her und sage mir:
"Was du hier erlebst, ist unbedeutend, verglichen mit dem, was der Freie Westen jeden Tag und jede Nacht mit Menschen anstellt, die er in seine Gewalt gekriegt hat, in Berlin Tegel oder in Hamburg Fuhlsbüttel oder in Köln Ossendorf oder in Stuttgart Stammheim oder erst recht dort drüben in den Vorgärten und Hinterhöfen der USA, wo ein Menschenleben weniger Wert hat als der Mercedes-Stern auf dem Wagen des deutschen Botschafters!"

Ich sage mir: "Wenn Hugo Riveros in seiner chilenischen Zelle Geräusche an der Tür gehört hat, dann wusste er, jetzt kommen Elektrotechniker, um mich zu foltern!"
Ich sage mir: "Die Kinder aus den Slums um Santiago de Chile stecken ihre Gesichter in Plastiktüten und atmen die giftigen Dämpfe von Klebstoff ein, um ihren Hunger zu betäuben. Aber die Herrenmenschen zwischen Dallas und Düsseldorf haben mit all dem nichts zu tun. Sie waschen ihre Hände.
Sie bräunen ihre Haut. Sie essen mit Messer und Gabel. Zehn Jahre lang gefiel ihnen das Investitionsklima in Chile.
Sie leiten Maßnahmen ein, um das Investitionsklima in Nicaragua zu verbessern.
Eine dieser Maßnahmen war der Mord an Tonio und dreizehn anderen Menschen, von denen ich nichts weiß.
Das geht so weiter Tag für Tag. Woher das kommt, weiß ich. Wohin das führt, weiß ich auch. Aber wann hört das auf?
Schlecht eingerichtet im Pariser Exil stellt die Stimme Lateinamerikas beharrlich die alten Fragen, die bei uns aus der Mode gekommen sind.

Ich frage die Anwesenden:
"Ist euch der Gedanke so fremd
Dass diese Welt uns allen gehört,
Und nicht nur denen, die das Geld haben?"

Yo pregunto a los presentes
Si no se han puesto a pensar
Que esta tierra es de nosotros
Y no del que tenga más!

Ich frage die Anwesenden:
"Ist euch der Gedanke so fremd
Dass uns das gehört
Was unsere Hände schaffen?

Yo pregunto si en la tierra
Nunca habrá pensado usted
Que si las manos son nuestras
Es nuestro lo que nos den!

Reißt die Zäune ein!
Reißt die Mauern nieder!
Reißt Schloß und Riegel ab!
Die Erde gehört uns allen –
Dir und dir und Pedro und Maria
Und Juan und José!

A desalambrar!
A desalambrar!
Que la tierra es nuestra –
Es tuya y de aquél
De Pedro y María
De Juan y José!
De Pedro y María
De Juan y José!

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